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Beitrag vom 10.11.2005
Alice Ströver, Politikerin
Rukshana Adrus-Wenner
AVIVA-Berlin traf die Vielbeschäftigte zwischen zwei Sitzungen für ein Interview. Sie erzählte über ihren Kulturtalk, Fußball, Bibliotheken, Zeitmangel und Kultur als hartes Brot
Die Kommunikationswissenschaftlerin, kultur- und medienpolitische Sprecherin der Bündnis 90/Die Grünen und Salondame sitzt seit 10 Jahren im Berliner Abgeordnetenhaus. Vor 30 Jahren kam sie aus Niedersachsen zum Studium nach Berlin. Zwischenstationen als Journalistin bei der "taz", politisch aktiv bei der Alternativen Liste und in der Europafraktion, Geschäftsführerin der BBK, Lehrbeauftragte an der FU. Die 50 jährige ist verheiratet und hat eine Tochter.
Thema des 50. Kultursalons ist "Kunst und Kritik - Die kulturpolitische Verantwortung der Kritiker". Alice Ströver empfängt ihre Gäste am 17.11.2005 um 19:00 Uhr im Roten Salon der Volksbühne, Rosa-Luxemburg-Platz.
AVIVA-Berlin: Frau Ströver, Sie feiern mehrere Jubiläen in diesem Jahr.
Alice Ströver: Es ist wirklich so. Jetzt ist es fast vorbei, aber es war sehr spannend und aufregend.
AVIVA-Berlin: Welche kulturellen Ereignisse in letzter Zeit haben Sie besonders beeindruckt?
Alice Ströver: Die Ausstellung "Rundlederwelten" im Martin-Gropius-Bau fand ich sehr interessant, eine sehr spannende Frage, wie man im Vorfeld der Fußball-WM Sport und Kunst zusammen diskutiert. Was Theater und Oper angeht, fand ich die Faust-Inszenierungen von Michael Thalheimer im Deutschen Theater anregend. Die Tanzveranstaltungen im Bereich der Freien Tanzszene, sei es im HAU, Sophiensaele und an anderen Orten besuche ich auch des öfteren.
AVIVA-Berlin: Im November 2005 findet der 50. Kultursalon in der Volksbühne statt.
Alice Ströver: Es fing mit einer Idee an, die ich gar nicht als Abgeordnete hatte, sondern als Mitarbeiterin der Fraktion bei meinem Vorgänger Albert Eckert. Unter seiner Ägide fanden die ersten acht Gespräche statt. Seit zehn Jahren verantworte ich die Veranstaltungen. Unser Anliegen war, einen Ort zu finden, an dem die Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen mit Experten kulturpolitischen Themen fernab vom Parlamentsalltag diskutieren kann.
AVIVA-Berlin: Ist dieses Podium eine Abwechslung zum politischen Alltag?
Alice Ströver: Ja, unbedingt. Es geht selten um Geld, manchmal um Strukturfragen. Im Zentrum steht die Förderung der Kunst, des kreativen Schaffens in Berlin. Wichtig sind auch die Fragen der Vernetzung und wie man quer über alle Themen Aufmerksamkeit über das kulturelle Geschehen in dieser Stadt herstellen kann.
AVIVA-Berlin: Können Sie einige Highlights nennen?
Alice Ströver: Wir haben eine große Bandbreite. Die Vielfalt der Themen reichte von Frauensache Kunst über das Holocaust-Mahnmal zu Musikschulen, Literaturbetrieb, Kunstmarkt, Clubszene und vieles mehr. Da ich ebenfalls die medienpolitische Sprecherin meiner Fraktion bin, spielen Rundfunk-Fragen auch eine Rolle.
AVIVA-Berlin: Welche Resonanz erreichen Sie dadurch?
Alice Ströver: Das Publikum ist ganz vielfältig. Wir haben Stammgäste, die kommen immer. Die sind einfach interessiert an den Themen, die ich anbiete. Dann haben wir aber auch das Fachpublikum, das an einem speziellen Thema interessiert ist. Und dann gibt es aber durchaus auch Leute, die sehr spontan kommen, die unsere Anzeige gelesen haben und sich unmittelbar zu einem Thema austauschen möchten. Manchmal wundert man sich, welche Themen Aufmerksamkeit beim Publikum hervorrufen. Auch die Künstler selber kommen in großer Zahl.
AVIVA-Berlin: Liegt dieses Interesse auch an dem besonderen Ort?
Alice Ströver: Ja, der Rote Salon der Volksbühne hat nicht die typische Politdiskussions-Atmosphäre, sondern ist ein Ort, der selber für kulturelles Geschehen steht, für Clubnächte und andere Events. Deshalb finde ich es lustig, dass auch Leute kommen, die über die Volksbühne informiert sind und normalerweise nicht ins Abgeordnetenhaus kommen würden. Ich finde es gut, dass man in eine Kultureinrichtung geht und die Volksbühne ist ein großartiger Ort dafür. Was dort diskutiert wird, kommt über kurz oder lang wieder zurück in den politischen Raum. Wenn ich über Frauenförderung spreche, dann weiß ich auch, dass es in die nächste Haushaltberatung und in einen Antrag münden kann.
AVIVA-Berlin: Was können Sie über die Lage der Künstlerinnen und Frauen im Kulturbereich sagen?
Alice Ströver: Im Bereich der bildenden Kunst ist die Lage der Künstlerinnen und Künstler ziemlich schlecht. Vor allem lassen sich Künstlerinnen schlechter vermarkten. Das hängt sicher mit dem Kunstbetrieb zusammen. Obwohl die Absolventinnenzahl ziemlich hoch ist, sind sie in den Galerien nicht so präsent und erst recht nicht in den Museen. Dort haben die Männer noch das sagen und Frauen keine Möglichkeit, in der zeitgenössischen Kunst sichtbar zu werden. Die Ursachen sind vielfältig. In der Phase, in der Frauen sich massiv auf dem Markt bewegen müssten, gibt es oft die biographische Situation, die es erschwert - trotz der Förderprogramme.
AVIVA-Berlin: Sie sind nicht nur die kulturpolitische Sprecherin der Grünen, sondern waren auch Staatssekretärin für Kultur im Senat. Hätten Sie nicht Lust gehabt, auf der politischen Karriereleiter in den Bundestag zu wechseln?
Alice Ströver: Das hätte mich wohl gereizt, aber wir haben als kleiner Landesverband der Grünen bei unserer Landesliste für den Bundestag nur drei, maximal vier Plätze und die waren von anderen Kandidaten besetzt. Ich sehe die Gefahr, dass die Kulturpolitik nicht personifiziert und identifizierbar ist und das finde ich sehr schade. Die beiden Mitglieder, die im Kulturausschuss und in der Enquetekommission waren - Antje Vollmer und Ursula Sowa - sind nicht mehr im Bundestag. Dadurch ist eine große Lücke entstanden. Es hätte mich interessiert, aber es gab keine Möglichkeit, sich entsprechend zu positionieren.
Man kann auch in der Opposition in der Öffentlichkeit wahrnehmbar sein. Es ist ein hartes Brot, die Bedeutung der Kultur zu betonen. Trotzdem ist durch mein Agieren in den letzten zehn Jahren einiges in Bewegung gekommen. Auf der Bundesebene müssen wir erst wieder ein Profil über eine Person entwickeln.
AVIVA-Berlin: Was sagen Sie zu den Diskussionen um die Kulturstaatsministerin oder Staatsminister in der neuen Bundesregierung?
Alice Ströver: Die rot-grüne Regierung hatte einen Quantensprung gemacht und die Bedeutung und die Verpflichtung, sich für Kunst und Kultur auf Bundesebene einzusetzen, sehr weiter entwickelt. Alle drei Personen haben dieses Amt bislang gut ausgefüllt.
Die Diskussionen über den Stellenwert der Kulturstaatsministerin in der Grossen Koalition finde ich wirklich verheerend. Auch in Hinblick auf europäische Beratungen für Kultur, braucht es unbedingt jemanden, der dies außenpolitisch wahrnimmt und auch medienpolitisch ein Anzahl von Aufgaben kommuniziert.
AVIVA-Berlin: Was ändert sich dadurch für die Berliner Kultur?
Alice Ströver: Es sind zwei Faktoren: Erstens hat das Land Berlin bei der Kultur gekürzt. Der Bund hat viel abgefedert durch Entlastung, durch die Übernahme z.B. der Akademie der Künste, Gropiusbau, Berliner Festspiele. Das andere ist, dass man so eine Art Haltung zu Berlin entwickeln muss. Die Hauptstadtkulturförderung ist nicht nur eine Frage des Geldes, sondern eine Akzeptanzfrage. Es ist wichtig, dass man dort eine Person hat, mit der man kulturellen Auftrag an Berlin als Hauptstadt verbindet.
AVIVA-Berlin: Tut Berlin Ihrer Meinung nach genug für Kulturförderung an der Basis?
Alice Ströver: Es gehen immer mehr Mittel in die großen Tanker. Nur dreieinhalb Prozent des gesamten Kulturetats gehen in die freie Szene. Berlin tut meiner Ansicht nach zu wenig. Viele Einrichtungen sind unterfinanziert. Es gibt kein richtiges Strukturkonzept, was man eigentlich fördern will. Berlin ist ein Anziehungsort für viele Künstler, ohne Geld, aber mit guten Ideen und kreativen Projekten. Hier muss man die Fördermittel konzentrieren. Die Karawane zieht sehr schnell weiter, trotz guter Rahmenbedingungen, günstigen Mieten, bezahlbaren Probe- und Aufführungsräumen.
AVIVA-Berlin: Welche Vorhaben im kulturellen Bereich liegen Ihnen am Herzen?
Alice Ströver: Mir liegt etwas am Herzen, was Sie vielleicht überraschen wird, nämlich die Neustrukturierung der Berliner Bibliotheken. Die Bibliotheken haben kleine Etats. Leider entwickeln sie sich zu Antiquariaten mit alten Beständen und viel zu wenig Mitteln für aktuelle Käufe, sowohl für Literatur als auch für andere Medien. Ohne Lesen kann man nichts oder wenig mit Kultur anfangen. Die Bibliotheken sind aber die Basis für Kulturentwicklung per se und Orte der Begegnungen.
Ein anderer Punkt ist die Förderung der Theater. Ich glaube, wir können hier gar keine institutionelle Dauerförderung machen, sondern müssen auch bei den großen Häusern projektbezoge Mittel bereitstellen. Es kann nicht sein, dass die Großen alles kriegen und die Kleinen leer ausgehen. Hier würde ich eine Bewusstseinsänderung herbeiführen und sagen, alles wird nur befristet gefördert. Jeder muss sich bewähren. Alles wird nach Qualitätskriterien überprüft.
AVIVA-Berlin: Haben Sie sich selbst zum Jubiläum etwas geschenkt oder sich etwas Spezielles für Ihrer Gäste einfallen lassen?
Alice Ströver: Zum 50. habe ich mir etwas besonders ausgedacht. Ich habe den Spieß umgedreht und die Kulturkritiker, die manchmal den Künstlern und den Politikern das Leben schwer machen, aufs Podium eingeladen. Ich möchte einmal mit ihnen über ihre Verantwortlichkeiten und Motivation für ihr Handeln sprechen. Da bin ich sehr neugierig. Nicht alle waren begeistert, dort aufzutreten. Ich bin gespannt, wie die Reaktion der Gäste sein wird.
AVIVA-Berlin: Was empfehlen Sie zusätzlich aus dem kulturellen Bereich?
Alice Ströver: Ich empfehle eine schöne Ausstellung über Marianne Brandt im Bauhaus-Archiv. Sie war ursprünglich eine Metallformerin, das ganz ungewöhnlich war zu dieser Zeit. Zu sehen sind erstmals völlig unbekannte, wunderbare Fotocollagen aus den 20er Jahre, in denen sich die Künstlerin mit der Rolle der Frau auseinander setzt.
AVIVA-Berlin: Bei Ihrem politischen Pensum - wie viel Zeit bleibt da für das Privatleben?
Alice Ströver: Gute Frage. Ich habe vielleicht das Glück, manchmal abends jemanden zu kulturellen Veranstaltungen mitnehmen zu können - das ist dann mein Privatleben. Jetzt in Phasen der Haushaltsberatungen ist es ziemlich hektisch. Man muss sich die Zeit nehmen, auch wenn es schwierig ist.
AVIVA-Berlin: Vielen Dank für´s Interview
Mehr zu Alice Ströver auf ihrer Internetseite: www.alice-stroever.de